Es ist immer wieder faszinierend über was für Fähigkeiten und Kompetenzen die deutsche Internet-Rollenspielszene verfügt. Gerade in heiß diskutierten Themen, wie die aktuelle Diskussion um die Blutschwerter und Nackter Stahl zeigt wieder einmal:
Die meisten Rollenspieler sind „Schnellleser” und/oder „Rechtsgelehrte”.
Zu den „Schnelllesern” gehört die Gruppe, die sich irgend ein Spiel im „Laden anschaut” und dann der Meinung ist, eine richtige und allgemeingültige Aussage darüber im Internet treffen zu können. Noch lieber sind mir aber jene illustren Gestalten, die das Buch „im Laden gelesen” haben.
Wenn der „Schnellleser” nicht bequemerweise in der Lage ist, hunderte von Seiten beim Überfliegen – also in ein paar Sekunden – zu verinnerlichen, muss ich den Verkäufer für seine Kundenfreundlichkeit und besondere Nachsicht bewundern. Schließlich lässt er es offenbar zu, dass man bei ihm Rollenspielwerke ganz, oder wenigstens hunderte von Seiten davon, durchliest ohne sie zu kaufen.
Einfach bemerkenswert, vor allem wenn es sich dabei um verschweißte Ware handelt. Ich bin ganz hin- und weg von diesen Lesefähigkeiten der „Schnellleser“ und der Geduld der Verkäufer. (Doch noch mehr beeindrucken mich Verkäufer, die angeblich Produkte herunter machen, wie JörgD. es zum Beispiel in seinem Blog beschreibt, anstatt sie zu verkaufen. Das FLGS-Business muss ja wirklich einen Haufen Geld abwerfen. Muss wohl so wie bei einem Juwelier sein, bei dem die Diamanten wie heiße Semmeln weggehen.)
Ich muss zugeben, ich kann das nicht. Ich bin keiner dieser Lese-Übermenschen, von denen die Foren überquellen. Wenn ich mir ein Rollenspiel im Laden „anschaue” kann ich mir höchstens den Eindruck verschaffen ob mich das Produkt näher interessiert oder nicht. Ich könnte mir gar kein fundiertes Urteil erlauben – wie denn auch, nach ein paar Sekunden?
Weiterhin beeindrucken mich die zahlreichen „Rechtsgelehrten” der Szene, die zu jeder Sache, zu jedem Skandal, sofort die rechtlich „richtige“ Lösung parat haben und auch deren Durchsetzung fordern. Und das – sage und staune – ohne das ihnen ein vollständiger Blick in die Sache gegönnt war.
Doch das Schönste ist: Das Kostenrisiko ist Nebensache, denn das müssen andere tragen.
Beispielsweise im aktuellen Fall um B! und Nackter Stahl, zeigt sich das sehr schön. B! sollte dies tun, B! sollte so reagieren… Als die Klagesache zwischen Nackter Stahl und Prometheus Games damals aktuelle Kreise zog, war es nicht anders: NaSta/PG sollte so reagieren, jenes tun…
Dieses sichere Wissen um den wahren Hintergrund, (Kosten)Konsequenz von Entscheidungen und die nahezu prophetische Gewissheit wie die Sache unterm Strich aussehen wird… Absolut bemerkenswert!
Also, ich könnte das nicht. Ich verfüge zwar über eine juristische Bildung, aber die könnte ich in der Sache nur ausschöpfen, wenn ich den Sachverhalt kennen würde. Daher bleibt mir nur zu sagen: Wie gut das jeder seine Grenzen kennt!
Wobei man klar sagen muss: Das ist keine exklusive Eigenschaft der Rollenspiel-Szene. Ein Blick in die Foren und Kommentarfelder von Film-Seiten wie IMDb oder ComingSoon.net, oder aber auf Videospielseiten und deren Kommentarbereiche, zeigt doch nur, dass das dort nicht anders ist.
Und jeder Stammtisch hat eine Mitglieder-große Anzahl von Rennstalldirektoren, Fußballnationaltrainern und Politik-Analysten.
Ich will dabei gar keine explizite Analogie zu den von dir genannten Beispielen herstellen; ich kenne von Frostzone beispielsweise nur das Cover 😉
Aber ich denke, auch wenn es mir nicht gefällt, die Tendenz des Kommentierens ist im Endeffekt einfach eine ganz menschliche Eigenschaft…
Viele Grüße,
Thomas
Also man hat gewöhnlich schon etwas mehr Zeit als wenige Sekunden, um ein Rollenspielbuch im Laden durchzublättern. Und in einigen Minuten kann man eine Menge Seiten querlesen.
Die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit liegt in der Kernzielgruppe der Rollenspiele (15-25) bei um 200-250 Wörtern pro Minute. Vielleser (z.B. Rollenspieler oder Forenregulars) schaffen sogar 300 wpm und mehr, bereits im Alter von 18!
Zwar befinden sich auf einer Seite oft 200-300 Wörter, allerdings kann durch die Fähigkeit des Querlesens die wirkliche Lesegeschwindigkeit stark gesteigert werden, da dadurch die der Text intuitiv über Schlüsselwortanalyse erfasst wird.
Durch Querlesen schafft man ohne Probleme 1000-2000 wpm, wobei es auch Einzelfälle gibt, die bis zu 4000 wpm schaffen und sich dabei wohlgemerkt genau an den Inhalt erinnern.
Da es sich bei Rollenspieltexten um Texte von geringer Schwierigkeit handelt und viele Forenregulars obendrein oft Rollenspielveteranen und auch noch Akademiker mit geübten Querlesenfähigkeiten sind, können sie sich durchaus einen guten Überblick über ein Rollenspiel in nur wenigen Minuten verschaffen. (10 Minuten ~= 60 Seiten)
Denn dafür braucht man eben keine intensive Textanalyse.
Abgesehen davon, finde ich es nur gut, dass es noch Rollenspielhändler gibt, die auch ehrliche Meinungen zu Produkten vertreten, anstatt alles gut zu reden, was bei ihnen im Regal steht. Denn wenn ich keine Fachberatung beim Rollenspielhändler bekomme, warum soll ich dann die Mühe und höheren Preise auf mich nehmen, anstatt bei Amazon oder einem der Onlinehändler zu bestellen?
Der Rollenspielhändler meines Vertrauens, als ich einen Stapel Bücher bezahle: „Hm, immerhin beweist du partiell guten Geschmack.“
lol.
Du äußerst hier dein Mißfallen daran, dass andere ihr Mißfallen äußern?
Ich glaube nicht, dass ich geschrieben habe, ich hätte mir das Rollenspiel durchgelesen. Das Buch steht da unverschweißt im Laden und ich habe es durchgeblättert. Das reicht für einen Kommentar zum Lauyout auf jeden Fall und das auch bei einem Laien.
Zum Inhalt:
Selbst bei der von mir praktizierten Form des Fast Reading bleibt genügend Text haften um zu sehen, dass die sprachliche Qualität des Werkes nicht gerade prima ist. Dass ist gerade von jemanden mit meinen sprachlichen Fertigkeiten schon eine arge Beleidigung für den Text. Ich möchte nicht wissen, was Dom zu dem Text sagen würde.
Was das mit dem Kommentar des Angestellten angeht: Er hat mir statt dessen ein anders Buch empfohlen, dass besser zu meinem Geschmack passt Cyberpunk2020 und mir noch 2 gebrauchte BT Total Warfare +Strategic Operations aus der Gebrauchte- Bücher-Ecke aufgeschwatzt.
Ich weiß nicht wie umsatzgeil deine Verkäufer sind, aber meiner setzt lieber darauf, mir mal ein Buch auszureden, damit ich auch weiter bei ihm kaufe und ihm vertraue.
Wenn ich zum Beispiel den Roland vom Sphärenmeister nach der Qualität eines Spieles frage bekomme ich auch immer eine ehrliche Antwort und eventuell besser passende Werke.
Das nennt man nicht Idiotie, sondern Dienstleistung und Kundenbindung.
Jörg, Du gehst fehl, wenn Du glaubst, dass ich dich mit dem kursiven Text angreifen will. Allerdings wundere ich mich über Verkäufer die in ihrer Beratung über Produkte herziehen. Als Kunde interessieren mich objektive Vor- und Nachteile des Produkts. Die persönliche Meinung des Verkäufers kann erst danach interessant werden. Schließlich will sich der Käufer eine eigene Meinung bilden und keine übernehmen.
Vermutlich kennt der Verkäufer Deinen Geschmack sehr gut und kann eine persönlichere Beratung als sonst vornehmen.
Übrigens, ich hätte Dir auch Cyberpunk und BT Total Warfare empfohlen. 😉
@ghoul: „Partiell” ist gut. Das gefällt mir! 😀
Hallo
Teilweise gebe ich Prisma recht. Ratschläg, was diese oder jede tun sollten, sind eigentlich fehl am Platz. Getreu dem Motto „Ratschläge sind auch Schläge“.
Was ich jedoch nicht richtig finde, ist dass ich innert kurzer Zeit die Qualität eines Regelwerks, des Lektorats, seines Layouts und seiner Spielmechanik beurteilen kann. Besonders langjährige, erfahrene Rollenspieler können dies innert sehr kurzer Zeit. Um die schlechtes Lektorats zu erkennen genügt in der Regel der erste längere Textbaustein. Das Layout ist zugegebener Massen auch Geschmaksache, jedoch gibt es auch dort goldene Regeln. Um zu erkennen, dass die Spielmechanik von Frostzone auf dem mangelhaften Arcane Codex beruht genügt ein Blick in die Grundmechanik.
Schlussendlich kann ich dir nach ca. 10 min Aufwand ein detailiertes Feedback geben.
Auf den Punkt gebracht. Frostzone ist den Preis nicht wert.
Ja, die Bücher sind gut.
Ich muss bloß noch dazu kommen sie mal nicht zu überfliegen, sondern in Ruhe zu lesen und mir dann zu überlegen, welche Regeln ich für mein eigenes Spiel verwenden oder abwandeln kann.
Danke für die Antwort.
@Prisma: Jörg hat überhaupt nicht geschrieben, was genau der Verkäufer zu dem Buch gesagt hat. Er hat nur geschrieben, dass sein Fazit zu dem Buch noch wesentlich bissiger ausfiel als Heretics. Woraus schließt du also, er habe über das Produkt hergezogen? Vielleicht hat er ja objektiv die Stärken und Schwächen verglichen und ist gerade deshalb zu seinem vernichtenden Fazit gekommen…?
Ansonsten ist es spannend, wie du genau das, was du in deinem Blogpost oben ankreidest, in dem Kommentar selbst praktizierst: Dich nämlich ohne genaue Kenntnisse der Situation über etwas beschwerst.
@Belchion: Jörg hat den Rat des Verkäufers mit sehr deutlichen Worten beschrieben:
„(…) sein Statement fiel deutlich weniger freundlich aus als das von Don Gnocci.
Sein Rat: Wer das Kompendium von AC schon hat um damit Einbrecher zu erschlagen, der braucht das Regelwerk ungefähr so dringend wie die Beulenpest. Jeder der bei Spielen auf einer Erde in der Zukunft eine gesunde Suspence of Disbelife hat würde sich vor dem Werk geradezu ekeln.“
Ich praktiziere nicht, was ich oben ankreide.
@Thomas Michalski:
Du hast natürlich recht, es ist keine exklusive Eigenart der Rollenspielszene und Menschen meckern gerne. Strenggenommen habe ich mit dem Beitrag selbst gemeckert. Aber ich meckere gerne so berechtigt wie möglich. 😀
@Prisma: Du praktizierst exakt, was du ankreidest: Aufgrund stichpunktartiger, oberflächlicher Informationen urteilen.
Du kennst nur eine verkürzte Wiedergabe des Ergebnisses aus dritter Hand – nämlich das, was Jörg dazu in seinem Blog geschrieben hat. (Das entspricht in etwa dem „Einmal im Laden durchblättern“)
Deinen Ansprüchen zufolge hättest du wenigstens selbst mit dem Verkäufer sprechen müssen, um herauszufinden, wie er zu dem Ergebnis gekommen ist und ob das eine allgemeingültige Aussage war oder eine, die er in der Form nur getätigt hat, weil er mit einem Stammkunden gesprochen hat, dessen Geschmack er kennt und dessen Wortwahl ihm geläufig ist. (Das entspräche dem von dir geforderten „Es mit nach Hause nehmen und konzentriert lesen“)
offtopic: Da waren noch 2 Kommentare in der Pipeline, hab ich mal freigeschaltet.
@Contra: Danke, wie Du weißt kenne ich mich den technischen Interna nicht wirklich aus. Das ist ohnehin Dein Zuständigkeitsberiech.